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35. Allgemeine Bemerkung über den Wohllaut.

Der Wohllaut einer Sprache beruht vorzugsweise auf dem ebenmässigen Wechsel verschiedenartiger Laute, indem sich ein Konsonant mit einem Vokale, eine Muta mit einer Liquida, der Spirant ς mit einer Muta, eine Muta mit dem Spiranten ς verbindet, als: ἐβουλεύθησαν; πλέκω, γράφω; σπείρω; ψεύδω (= πσεύδω), γράψω (aus γράφ-σω). Denn, wie schon Plato bemerkt (Soph. 252, E f.), einige Laute passen zu einander, andere passen nicht; bei welchen dies oder jenes der Fall, ist Sache des Grammatikers zu erforschen. Aber jede Sprache hat auch in dieser Hinsicht ihre Besonderheiten und ihren eigenen Geschmack.1) — Dass durch die Spaltung des A-Lautes die griechische Sprache vor der altindischen (dem Sanskrit) einen grossen Vorzug habe, indem dadurch ein grösserer Wechsel der Vokale und somit ein grösserer Vokalwohllaut bewirkt wird, ist § 9, 2 bemerkt worden. Dagegen steht die griechische Sprache ihren Schwestern darin nach, dass sie durch Ausstossung der ihr unangenehmen Laute j, ϝ, ς oder durch Verwandlung derselben in Vokale in vielen Wörtern und Wortformen an grosser Anhäufung von Vokalen leidet, als: ὄϊς st. ὄϝις, ovis, αἴών, aevum, βοός, bovis, δαήρ st. δαιϝήρ, sk. dêvaras, l. levir, εἴην st. ἔςjην, l. essem, sk. (a)s-jâm, ἔᾶγα st. ϝέϝᾶγα. Daher hat die griechische Sprache viele Wörter und Wortformen ohne Konsonanten und selbst vielsilbige, die aus lauter Vokalen bestehen oder nur einen Konsonanten haben, als: ᾠά (st. ὠϝιά), ova, ἀΐω (ἀϝίω, sk. avmi, beachte), οἴοιο, εἴη (st. ἔςjη), ἱῇ, ἱείη v. ἵημι, εὐαέα (st. εὐαϝέα v. ἄϝημι), δηϊοῖο v. δάϝιος (Alkm. fr. 79 Bergk. πῦρ τε δάϝιον), δηιόω, ἀάω st. ἀϝάω, ἠέλιος st. αὐςέλιος ἆϝέλιος, ἀάατος st. ἀάϝατος u. s. w. Die Griechen fanden solche Häufungen von Vokalen nicht durchaus unangenehm, im Gegenteil bemerkt der Rhetor Demetrios (π. ἑρμηνείας § 69), dass Wörter wie Αἰαίη, Εὔιος gar nicht übellautender, eher sogar μουσικώτερα als andere seien; der Zug der (nachhomerischen) Sprache geht indes auf eine Verminderung der Vokalfülle entschieden hin.

Durch den Zusammenstoss gleichartiger Laute, wie zweier Vokale, sowie durch die Anhäufung von Konsonanten, die sich schwer

Kühners ausführl. Griech. Grammatik. I. T.

mit einander aussprechen lassen, entsteht leicht ein Übellaut, zu dessen Hebung die Sprache verschiedene Mittel anwendet, die wir im Folgendem auseinander setzen werden.

Sowie jede Sprache, so hat auch die griechische gewisse Konsonanten, deren Natur sich mit einander nicht verträgt. Wenn daher durch Flexion, Ableitung oder Zusammensetzung solche Konsonanten an einander treten, so sucht die Sprache den dadurch entstehenden Übelstand zu heben, indem sie den ersteren dem folgenden, seltener den folgenden dem ersteren gleich oder gleichartig macht (Angleichung, Anähnlichung), als: ἐλ-λείπω aus ἐν-λείπω, λέλεκται aus λέλεγται. Zuweilen jedoch scheut die Sprache auch den Gleichlaut und stellt statt gleichartiger Laute ungleichartige her (Dissimilation), als: Σαπφώ st. Σαφφώ, oder in zwei auf einander folgenden Silben, als: πε-φίληκα st. φε-φίληκα.

Die Konsonanten sind wenigeren Veränderungen unterworfen als die Vokale. Denn die Konsonanten bilden den festeren, die Vokale den leichteren Bestandteil des Wortes; jene sind gleichsam der derbere Körper des Wortes, jene die beweglichere Seele. (Τὰ φωνήεντα τῇ ψυχῇ ἐοίκασι, τὰ δὲ σύμφωνα τῷ σώματι, Bekker, Anecd. II, p. 796), oder, wie Plato sagt (Sophist. 253, a), die Vokale sind das zusammenhaltende Band, welches durch alles hindurchgeht.

1 Über das Griech. u. Latein. vgl. Pott, Lat. u. Gr. in einigen ihrer wichtigsten Lautunterschiede, K. Z. XXVI, 113 ff.

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