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602. VII. Anakoluth.

Das Anakoluth ist eine solche Wort- oder Satzverbindung, in welcher die begonnene Konstruktion des Satzes nicht durchgeführt, sondern in eine andere verwandelt wird, die zwar in grammatischer Hinsicht jener nicht entspricht, in logischer Hinsicht aber, d. h. in Ansehung der Bedeutung und des Inhalts, jener gleich oder ähnlich ist. Die Quelle, aus der das Anakoluth fliesst, ist die Lebhaftigkeit der Vorstellung, die den Redenden die begonnene Konstruktion vergessen und nur noch die Sache, aber nicht die Form der Rede in Gedanken festhalten lässt, oder das Streben entweder die Deutlichkeit der Rede, deren Zusammenhang durch Zwischensätze gestört worden ist, oder auch die Kürze, die Kraft oder die Konzinnität der Rede zu unterstützen. Am häufigsten werden Anakoluthien durch Zwischensätze oder Parenthesen veranlasst1). So geschieht es nicht selten, dass nach einem Vordersatze mit Zwischensätzen der grammatische Nachsatz fehlt (oratio ἀναπόδοτοςund erst später als ein selbständiger Hauptsatz angereiht wird, wie z. B. Hdt. 6.137 in. Πελασγοὶ ἐπείτε ἐκ τῆς Ἀττικῆς ὑπὸ Ἀθηναίων ἐξε- βλήθησαν . . 138 in. οἱ δὲ Πελασγοί. Pl. Ap. 28, c ἐπειδὴ εἶπεν μήτηρ . . δὲ ταῦτα ἀκούσας κτλ. X. H. 2.3.15 ἐπεὶ δέ . . 18 ἐκ τούτου μέντοι κτλ., ubi v. Breitenb. Vgl. 6. 4, 2 f. mit den Bmrk. v. Breitenb. An vielen Stellen scheint die Anakoluthie lediglich daraus hervorgegangen zu sein, dass der Grieche es liebt, durch Variation der Wortfolge die Lebendigkeit der Rede zu erhöhen. So öfters in den Verbindungen durch . . , καί . . καί, τέ . . καί u. dgl. Th. 7.47 νόσῳ ἐπιέζοντο κατ᾽ ἀμφότερα, τῆς τε ὥρας τοῦ ἐνιαυτοῦ ταύτης οὔσης ἐν ἀσθενοῦσιν ἄνθρωποι μάλιστα, καὶ τὸ χωρίον ἅμα ἐν ἐστρατοπεδεύοντο ἑλὼδες καὶ χαλεπὸν ἦν. Dem. 15.23 εἰ γάρ τί που κεκράτηκε τῆς πόλεως βασιλεύς, τοὺς πονηροτάτους τῶν Ἑλλήνων καὶ προδότας αὐτῶν χρήμασι πείσας, οὐδαμῶς ἄλλως κεκράτηκεν. Den Übergang der Partizipialkonstruktion in eine Form des Verbi finiti oder umgekehrt haben wir § 490, 4 und den der obliquen Rede in die direkte und umgekehrt § 595, 5 erörtert. Ein Übergang von der Wunschformel ὤφελον c. inf. zu der III. Pers. Impr. st. des Inf.: Eur. H. f. 654 Ch. κατὰ κυμάτων δ̓ | ἔρροι (τὸ λυγρὸν γῆρας) μηδέ ποτ᾽ ὤφελεν | θνατῶν δώματα καὶ πόλεις | ἐλθεῖν, ἀλλὰ κατ᾽ αἰθέρ᾽ ἀεὶ πτεροῖσι φορείσθω. Zuweilen geht die Konstruktion von dem Infinitive (Acc. c. Inf.) zu einem Nebensatze über. Th. 3.51 ἐβούλετο δὲ Νικίας τὴν φυλακὴν αὐτόθεν . . εἶναι, τούς τε Πελοποννησίους, ὅπως μὴ ποιῶνται ἔκπλους αὐτόθεν λανθάνοντες τριήρων τε . . καὶ λῃστῶν ἐκπομπαῖς τοῖς τε Μεγαρεῦσιν ἅμα μηδὲν ἐσπλεῖν. 6, 75 ἦσαν γὰρ ὕποπτοι αὐτοῖς οἱ Καμαριναῖοι μὴ προθύμως σφίσι . . πέμψαι ἔπεμψαν, ἔς τε τὸ λοιπὸν μὴ οὐκέτι βούλωνται ἀμύνειν.

Da der Geist der Griechen sich durch eine seltene Beweglichkeit, Gewandtheit und Raschheit des Denkens auszeichnete, da sich ihre Sprache aus dem Leben selbst hervorgebildet hatte und sich daher auch überall frei bewegen konnte: so lässt es sich wohl leicht begreifen, warum die griechischen Autoren so reich an anakoluthischen Konstruktionen sind.

Jedoch muss man bei der Betrachtung des Anakoluths teils zwischen den Anakoluthien selbst, teils aber zwischen den Schriftstellern, die sich derselben bedienen, einen Unterschied machen. Die Anakoluthien lassen sich in drei Arten teilen: a) in grammatische, b) in rhetorische, c) in solche, welche offenbar aus Nachlässigkeit und Unachtsamkeit entsprungen sind. Die Autoren aber, wenigstens die Prosaisten, könnte man etwa in folgende Klassen einteilen2).

Zu der ersten gehören diejenigen, deren Sprache nachlässig und unperiodisch ist. Bei solchen Schriftstellern findet man die Anakoluthe am häufigsten. Zu dieser Klasse muss man z. B. Herodot zählen, welcher, unbekümmert um eine nach den Gesetzen der Grammatik sorgfältig gebildete Darstellungsweise, nach dem Beispiele seiner Vorgänger, der Logographen, in einem ungekünstelten, losen und lockeren Stile den Hellenen die Grossthaten ihrer Landsleute erzählt und mit grosser Gemütlichkeit sich über alle auf sein historisches Epos sich beziehenden Gegenstände verbreitet. Der häufige Gebrauch der Anakoluthe ist also ganz aus dem Geiste seiner Geschichte, aus der kindlichen Erzählungsform hervorgegangen.

Die zweite Klasse umfasst diejenigen Schriftsteller, welche, vertieft in den Gegenstand, den sie vortragen, erfüllt von einem Reichtume der Gedanken und durchdrungen von dem Streben diese Fülle der Ideen in so wenig Worten als möglich zu konzentrieren, von der Sache selbst so ergriffen werden, dass sie, nur mit ihr allein beschäftigt, von Gedanken zu Gedanken fortgerissen, auf die sprachmässige Verbindung der einzelnen Teile eines Satzes weniger Rücksicht nehmen. Der Gedankenreichtum drängt sich bei einem solchen Geiste so zusammen, dass, indem er den einen Gedanken niederschreibt, er schon zu einem neuen hineilt und diesen an den vorhergehenden in einer andern Konstruktion als derjenigen, mit welcher er den Satz begonnen, anreiht, sei es, dass ihm jene bequemer schien, oder dass sie sich leichter darbot. Zu dieser Klasse gehört vornämlich Thukydides, bei dem sich die zahlreichen Anakoluthe aus der Fülle seiner Gedanken, aus der Tiefe seines Geistes und dem sehr grossen Streben nach Konzentriertheit leicht erklären lassen.

Eine dritte Klasse bilden diejenigen Schriftsteller, bei welchen die Anakoluthe nicht aus Nachlässigkeit, nicht aus dem Streben nach Kürze, noch aus dem Zusammendrängen der Gedanken entstanden sind, sondern aus dem bewussten Streben entspringen, der Darstellung eine grössere Klarheit, Anschaulichkeit, Leichtigkeit und eine gewisse Annäherung an die kunstlose, sich leicht bewegende Redeweise des gewöhnlichen Lebens zu geben. Zu dieser Klasse rechnen wir die dialogischen Schriften. Die Dialoge sollen uns die redenden Personen lebendig vor die Seele führen; wir sollen durch diese dramatische Darstellung ganz in den Kreis dieser Männer versetzt werden und so mit ganzer Seele und ganzem Gemüte an ihren Gesprächen Teil nehmen. Hieraus geht deutlich hervor, dass die Rede in den Dialogen nicht durch die strengen Gesetze der Kunst gebunden sein kann, sondern sich in einer gewissen natürlichen Nachlässigkeit gefallen muss. Man betrachte die Dialoge Platons, in denen die dramatische Kunst bis zu einer bewundernswürdigen Vollendung ausgebildet ist! Dieser grosse Meister der griechischen Sprache hat sehr oft anakoluthische Konstruktionen angewendet; aber sie sind bei ihm nicht aus Nachlässigkeit oder aus Unkunde der Sprache entsprungen, sondern sie tragen das Gepräge ächter Kunst an sich.

Die grammatischen Anakoluthien haben wir im Verlaufe der Grammatik an mehreren Stellen betrachtet. Viele derselben beruhen auf der Konstruktion πρὸς τὸ νοούμενον, vgl. z. B. § 493; die meisten aber sind durch Attraktion oder Assimilation veranlasst, indem dadurch, dass ein Satzteil einen anderen gegen das grammatische Verhältnis seiner Rektion unterwirft, oder ein Zwischensatz auf den Hauptsatz so einwirkt, dass dieser sich der Konstruktion jenes, des untergeordneten, anschmiegt, die regelmässige Folge des Satzes unterbrochen wird; auch gehören hierher Beispiele wie Th. 4.93 τῷ δὲ Ιπποκράτει οντι περὶ τὸ Δήλιον, ὡς αὐτῷ ἠγγέλθη, ὅτι Βοιωτοὶ ἐπέρχονται, πέμπει κτλ. st. δὲ Ἱπποκράτης ὢν π. τ. Δ.

Die aus Nachlässigkeit hervorgegangenen Anakoluthien lassen sich nicht auf gewisse Fälle zurückführen. Einige derselben haben wir früher beiläufig berücksichtigt, vgl. z. B. § 550, A. 3.

Zu den rhetorischen Anakoluthien gehört z. B. der § 356, 6 erwähnte Fall. Um entgegengesetzte Begriffe in einem Satzgefüge mit rhetorischem Nachdrucke hervorzuheben, werden dieselben oft an die Spitze der Sätze in gleicher Form gestellt, obwohl jeder derselben einer verschiedenen Rektionssphäre angehört. X. C. 4.3.19 τοὺς ἱπποκενταύρους οἶμαι ἔγωγε πολλοῖς μὲν ἀπορεῖν τῶν ἀνθρώποις εὑρημένων ἀγαθῶν ὅπως δεῖ χρῆσθαι, πολλοῖς δὲ τῶν ἵπποις πεφυκότων ἡδέων πῶς αὐτῶν χρὴ ἀπολαύειν st. πολλῶν δὲ . . ἀπολαύειν ohne das epanaleptische αὐτοῖς. P. Phaedr. 233b τοιαῦτα γὰρ ἔρως ἐπιδείκνυται: δυστυχοῦντας μὲν μὴ λύπην τοῖς ἄλλοις παρέχει ἀνιαρὰ ποιεῖ νομίζειν, εὐτυχοῦντας δὲ καὶ τὰ μὴ ἡδονῆς ἄξια παρ᾽ ἐκείνων ἐπαίνου ἀναγκάζει τυγχάνειν st. παρ᾽ εὐτυχούντων δὲ καὶ τὰ μὴ ἡδονῆς ἄξια ἐπαίνου ἀναγκ. τυγχάνειν ohne das epanaleptische παρ᾽ ἐκείνων. Eine rhetorische Anakoluthie ist auch da anzunehmen, wo der Schriftsteller Leidenschaften, wie Freude oder Schmerz, durch Abgerissenheit der Sätze darzustellen und gleichsam zu malen sucht, wie in der schönen Stelle bei X. C. 4.6.3 u. 4, wo der Schmerz eines Vaters über die Ermordung seines Sohnes in ergreifender Weise geschildert wird.(Smyth 3004)

1 S. Poppo ad Thuc. P. I. Vol. 1. p. 305. sqq. Fritzsche quaestt. Lucian. p. 176. Kühner ad Xen. An. 2. 5, 13. Comm. 4. 2, 38.

2 S. Kühner in: Kritische Biblioth. für d. Schul - u. Unterrichtswesen herausgeg. v. Seebode. 1830. Nr. 40. S. 159.

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  • Cross-references from this page (10):
    • Demosthenes, On the Liberty of the Rhodians, 23
    • Herodotus, Histories, 6.137
    • Plato, Phaedrus, 233b
    • Thucydides, Histories, 3.51
    • Thucydides, Histories, 4.93
    • Thucydides, Histories, 7.47
    • Xenophon, Cyropaedia, 4.3.19
    • Xenophon, Cyropaedia, 4.6.3
    • Xenophon, Hellenica, 2.3.15
    • Herbert Weir Smyth, A Greek Grammar for Colleges, 3004
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