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2. Kurze Geschichte des griechischen Alphabets und der alten Schreibweise.Vgl. das klassische Buch von A. Kirchhoff, Studien z. Gesch. d. griechischen Alphabets, in 4. Aufl., Gütersloh 1887.

Das Alphabet ist nach der Aussage der Alten, die sich überall bestätigt, den Griechen von den Phöniciern zugebracht worden; die Sage knüpft die Einführung an den Einwanderer Kadmos an Herod. 5, 58. Bei den Ioniern hiessen darum auch die Buchstaben φοινικήια (Her. das., Ephoros in Bk. Anecd. 782, Inschrift von Teos Σ. I. Gr. 3044 ὃς ἂν φοινικήια ἐκκόψει, d. i. γράμματα). Und zwar sind von Anfang an sämtliche 22 phönikische Buchstaben von den Griechen übernommen worden, unter leichter Umwandlung der Namen: Aleph = Alpha, Beth = Beta, Gimel = Gamma (Gemma, s. oben S. 39, 3), Daleth = Delta, He = Ei, Vau = Φαῦ (Βαῦ, Digamma), Sain = Zeta, Cheth = Eta (Heta, oben S. 40, 1), Teth = Theta, Jod = Jota, Kaph = Kappa, Lamed = La(m)bda, Mem = My (Mo, oben S. 40, 3) Nun = Ny, Samech = Sigma (vgl. unten 3; der Name wenigstens daher, wiewohl nicht die Form), Ain = Ou, Phe = Pei, Zade griech. Μ (der Name gr. nicht nachweisbar), Koph = Koppa (ϟ, lat. Q), Resch = Rho, Schin = San (vergl. unten 3 und oben 40, 6), Thav = Tau.

Aber die phönicischen Hauchzeichen wurden in dem griechischen Alphabete zu Vokalzeichen, und damit die Konsonantenschrift des Semitischen zur Lautschrift, was das hohe Verdienst der Griechen bleibt. Man nahm Aleph für a, He für e, Cheth für Eta (d. h. die Ionier Asiens, während die anderen Stämme dies Zeichen als Hauchzeichen beibehielten, in welcher Geltung es auch die Lateiner bekamen und bewahrten), Jod für i, Ain für o.

Von den Konsonantenzeichen der Phönici[enull ]r waren indes auch so noch manche nicht ohne weiteres verwendbar. S-Laute giebt es im Semitischen vier: das weiche s (Sajin), das gewöhnliche scharfe (Samech), ein emphatisch gesprochenes scharfes (Zade) und den dicken Zischlaut, den wir sch schreiben (Schin). Das Sajin nun ist im allgemeinen in seiner Geltung geblieben, wenn auch der weiche Zischlaut im griechischen mit d versetzt war; der Name Zeta scheint nach Eta Theta umgewandelt. Samech hat bei den asiatischen Ioniern seinen Namen an den vorletzten phönicischen Buchstaben abgegeben, seinen Platz und seine Gestalt aber bewahrt, mit dem neuen Werte als ks, und dem neuen Namen ξῦ (nach νῦ) oder ξεῖ (nach πεῖ gebildet). Die anderen Griechen haben meistens auch das Zeichen nicht angewandt, ehe sie das ionische Alphabet annahmen. Für den scharfen S-Laut aber finden wir bei den verschiedenen Stämmen zwei Zeichen verwendet, nicht nebeneinander, sondern eins oder das andere: Σ (<*>) und Μ, von denen jenes auf Schin (gr. San), dieses auf Zade zurückzugehen scheint; ersteres ist schliesslich das allgemeine geworden. — Emphatische, im Griechischen fehlende Laute waren im Phönikischen ferner Teth und Koph; die Griechen haben das Zeichen Teth für den aspirierten Laut (t + h) verwendet, das Koph aber lange Zeit neben Kaph ohne Unterschied des Lautes, wie es scheint, und mit der Massgabe gebraucht, dass sie vor o (und u υ) dem Namen entsprechend Koppa, im übrigen aber Kappa schrieben. Die Römer, welche ausserdem auch dem dritten Zeichen des Alphabets den Wert der gutturalen Tenuis gegeben hatten, liessen dies, das Σ, das allgemeine Zeichen sein, während sie das Ka = Kappa vor a, das Ku = Koppa vor u (mit folgendem Vokale) gebrauchten. — Die ausser Kurs gesetzten Zeichen wurden übrigens von den Griechen in den Alphabeten fortgeführt, und konnten als ἐπίσημα (Abzeichen, Kennzeichen, notae) noch weitere Verwendung finden. Insbesondere als Zahlzeichen ist sowohl Koppa (im Werte von 90) als auch San (für 900) geblieben, letzteres mit dem vermehrten Namen σανπῖ, der aus der Gestalt mit ihrer scheinbaren Vereinigung von Σ (ς) und II hergeleitet ist.

In dieser Anpassung der phönicischen Zeichen ist zugleich auch die Richtung schon fest bestimmt, in welcher das Alphabet auf griechischen Boden vervollständigt wurde. Zunächst musste für den fünften Vokal υ (u oder ü) ein Zeichen gebildet werden, welches man, wie es scheint, aus einer Nebenform des Vau gewann und hinten an den Schluss des Alphabets hängte. Kein griechisches Alphabet ist ohne dieses Zeichen, während es allerdings Alphabete giebt (auf den Inseln Kreta, Thera, Melos), in denen dies das einzig nichtphönicische ist. In diesen Alphabeten werden die gutturale und die labiale Aspirata entweder durch die Tenuis mitausgedrückt (Kreta), oder durch Zusammensetzung mit dem Hauchzeichen ΚΘ, ΓΘ (Thera, Melos), gemäss der Aussprache und analog der späteren Schreibweise der Römer CH, PH. An den meisten Orten indes zog das Vorhandensein eines Zeichens für die dentale Aspirata frühzeitig die Erfindung von solchen für die beiden andern nach sich, so zwar, dass für ph allgemein Φ verwandt wurde, für ch aber teils X, nämlich bei den asiatischen Ioniern, den Athenern, Korinthiern, Argivern u. a., teils Ψ, unter Verwendung des Zeichens X für ξ, nämlich auf Euböa, in Nord- und Mittelgriechenland ausser Attika, im grössten Teil des Peloponnes, endlich in den meisten westlichen Kolonien, durch welche, nämlich durch die chalkidischen Kumäer, auch die Römer das X im Werte von x erhielten. Die neuen Zeichen Φ X bezw. X (ks) Φ Ψ (ch) wurden wieder an den Schluss des Alphabets gehängt. Endlich hat, namentlich bei den Ioniern Asiens, das Vorhandensein eines Zeichens für den Doppellaut ks auch ein solches für den Doppellaut ps hervorgerufen, bei den Ioniern in der Form, die bei den westlichen Griechen das ch bedeutete (Ψ), und die Verwendung des Hauchzeichens für das offene e (mit welchem, nach dem dialektischen Verluste des Hauches, der Name nun anfing) die Erfindung einer Doppelbezeichnung auch für den Vokal o, der gleichfalls offen und geschlossen in merklicher Verschiedenheit existierte. Die Ionier Asiens haben dazu den Kreis des O unten geöffnet und die Linie nach beiden Seiten auseinandergebogen; das neue Zeichen, Ω, entsprach dem H und drückte den offenen Laut aus, während O für den geschlossenen blieb. Mit Ψ und Ω ist das Alphabet abgeschlossen worden, und zwar, bei den Ioniern, noch im 7. Jahrhundert v. Chr.

Das ionische Alphabet (τὰ Ἰωνικὰ γράμματα) nun ist schliesslich, unter Verdrängung der übrigen lokalen und nationalen Alphabete, das allgemein griechische geworden. Es umfasst 24 Buchstaben, nämlich 19 phönicische (nach Ausscheidung von Vau, Zade und Koppa) und fünf neue: Γ Φ Χ Ψ Ω. Die Stämme indes, welche den Laut des Digamma nicht verloren hatten, behielten auch nach Annahme des ionischen Alphabets das Zeichen Ϝ bei, hatten also 25 Buchstaben, wie die Böoter, oder, indem sie das halbierte Hauchzeichen [rpress] für den Hauch eingeführt hatten, sogar 26, wie die Tarentiner und Herakleoten in Italien. In Athen wurde das einheimische Alphabet (τὰ Ἀττικὰ γράμματα) durch den Staatsmann Archinos im J. 403/2, unter dem Archon Eukleides, auch für den offiziellen Gebrauch abgeschafft; es hatte aus 20 Buchstaben bestanden: Α Β Λ (γ) Δ Ε (ε, η) Ι Η (h) Θ Ι Κ [lins ] (λΜ Ν Ο (ο, ωΓ Ρ Σ Τ Φ Χ (ch), und die Doppelbuchstaben ξ ψ waren durch ΧΣ ΦΣ umschrieben worden.

Die Zeichen Η (in der neuen Geltung) und Ω haben im allgemeinen nur lange Laute ausgedrückt, indem das offene e (= französ. è ê) und das offene o (französ. o in alors) im Griechischen nur als Längen vorkamen. Hingegen waren geschlossenes e (französ. é) und o (franzöos. dos, anneau) sowohl kurz als lang vorhanden, und darum haben Ε und Ο bei Ioniern und Attikern, auch nachdem diese das ionische Alphabet angenommen hatten, kurze und lange Laute bezeichnet. Die langen Laute dienten auch als Namen der betreffenden Buchstaben. Das lange é indes hatte sehr frühzeitig einen Beiklang von i, und entsprechend das lange geschlossene o einen solchen von u; darum kommen schon in sehr alter Zeit in Ionien, Athen, namentlich auch in Korinth und dessen Kolonien für dies ē´ ō´ die diphthongischen Schreibungen ΕΙ, ΟΥ vor, die im Laufe des 4. Jahrh. v. Chr. in Athen und anderwärts die allgemein angewandten geworden sind und das Ε Ο auf die Bezeichnung des kurzen ĕ´, ŏ´ beschränkt haben.2) Somit waren auch die Buchstabennamen nunmehr εἶ, οὖ, und es ist der quantitative Unterschied von Ε und Η, Ο und Ω bereits für die alexandrinischen Grammatiker3der einzige, während ursprünglich der qualitative es ausschliesslich war, der die Verschiedenheit der Bezeichnung hervorrief. — Die diphthongische Schreibung ΕΙ, ΟΥ verwischt den Unterschied von echt diphthongischem ΕΙ = ε + ι und gedehntem ε, von echt diphthongischem ΟΥ = ο + υ und gedehntem ο; die älteren Inschriften geben diese Scheidung im allgemeinen wieder, und natürlich muss damals, im 5. Jahrhundert, noch ein lautlicher Unterschied von ε + ι ei, ο + υ ou und e^{i} = ε_, o^{u} = ο_ bestanden haben, der nachher verschwand. Schliesslich sind, wie wir im folgenden Paragraph sehen werden, beide ει zu ī, beide ου zu ū geworden. Ursprünglichen Diphthong ει haben z. B. λείπω (altatt. [lins ]ΕΙΠΟ), ἔχει (ΕΧΕΙ), πρυτανεία (ΓΡΥΤΑΝΕΙΑ); zahlreicher aber sind die Fälle, wo kein echter Diphthong, sondern Dehnung des ε, oder Kontraktion aus εε vorliegt: ἐπεστάτει (ΕΠΕΣΤΑΤΕ), ὀφειλέτω (ΟΦΕ[lins ]ΕΤΟ), ἀβλαβεῖς (ΑΒ[lins ] ΑΒΕΣ), εἴργασται (ΕΡΛΑΣΤΑΙ) Κλειγένης (Κ[lins ]ΕΛΕΝΕΣ), ἐπιθεῖναι (ΕΙΠΘΕΝΑΙ), ἔχειν (ΕΧΕΝ). Vollends überwiegen die entsprechenden Fälle bei ου ; für den echten Diphthongen ου sind anzuführen:4) οὐ ΟΥ, οὗτος ΟΥΤΟΣ und darnach τοιοῦτος u. s. w., σπουδή Σπουδίας ΣΠΟΥΔΙΑΣ vgl. σπεύδω, ἀκόλουθος ΑΚΟ[lins ] ΟΥΘΟΣ vgl. κέλευθος, ferner κρούω Προκρούστης, βοῦς (βούτης) Βουτάδης, δοῦλος, Σούνιον, ξουθός, στροῦθος, ἄρουρα, θοῦρος Θούριοι, βροῦκος. Natürlich aber ist durchaus nicht für alle Wörter, bei denen man über die Art des ου zweifelhaft sein kann, ein inschriftliches Zeugnis vorhanden, und bei ΦΡΟΥΡΟΣ ΦΡΟΡΟΣ, was beides vorkommt (aus προϝοράω) ist schwer zu sagen, was das Richtige sei.

Die Griechen schrieben ursprünglich, wie die Morgenländer, von der Rechten zur Linken; nur wenige mehrzeilige Inschriften mit dieser Schreibweise sind uns übrig geblieben; darauf nach Art der ackernden Stiere (βουστροφηδόν, Pausan. V, 17, 6), so dass die erste Zeile von der Rechten zur Linken, die zweite von der Linken zur Rechten geht u. s. w., oder auch, doch seltener, so, dass der Anfang von der Linken nach der Rechten, die nächste Fortführung von dieser zu jener u. s. w. geschieht. Diese Schreibart, die sich auf zahlreichen Inschriften findet, herrschte allgemein bis ins 6. Jahrh., und war z. B. auf den ἄξονες und κύρβεις des Solon angewandt. Doch kommt die rechtsläufige Schrift schon auf den Söldnerinschriften von Abu-Simbel (Ende 7. Jahrh.) vor, und zu Herodots (Herodot 2, 36) Zeit schrieb man schon nur nach der Rechten, ausser etwa auf Kreta, dessen Schrift lange stabil blieb. Bei der Schrift von rechts nach links hatten die Buchstaben die Richtung nach links, bei der aber von links nach rechts nahmen sie die entgegengesetzte Richtung an, als: Γ u. Γ (Gamma), Κ u. Κ (Kappa), Μ u. Μ (My), Π u. Π (Pei) u. s. w. Beide Schreibarten finden sich auf den βουστροφηδὸν geschriebenen Inschriften.

Die alten Griechen bedienten sich ursprünglich der sogenannten Kapital- oder Unzial-(Majuskel-)Schrift, d. i. unserer grossen Buchstaben, welche Schrift sich auf den Inschriften und Münzen und bis zum achten Jahrhunderte n. Chr. in den Handschriften findet. Neben dieser kam frühzeitig für den Privatgebrauch eine Kursivschrift auf, die sich zu freieren Formen entwickelte; aus dieser ist die Minuskelschrift hervorgegangen, die seit dem 9. Jahrh. n. Chr. auch in den Handschriften der Schriftsteller herrschend wird. Die alte Majuskel ging aber damit nicht unter, und aus ihrem Gebrauche zu Initialen und in Überschriften hat sich unser gegenwärtiger Schreibgebrauch, in welchem die grossen und die kleinen Buchstaben ihre Stelle finden, entwickelt. (Smyth 2)

1 Vgl. das klassische Buch von A. Kirchhoff, Studien z. Gesch. d. griechischen Alphabets, in 4. Aufl., Gütersloh 1887.

2 Vgl. den trefflichen Aufsatz von A. Dietrich, Zum Vokalismus d. gr. Spr., Kuhns Ztschr. XIV, S. 48 ff.

3 S. auch Aristot. Poët. c. 21, p. 1458 a, 11 ff. (τὰ ἀεὶ μακρά, d. i. η ω, τὰ ἐπεκτεινόμενα, d. i. α ι υ, τὰ βραχέα, d. i. ε ο).

4 Meisterhans Gramm. d. att. Inschr., S. 49^{2}.

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