previous next


56. Assimilation oder sogenannte Distraktion der Vokale.

Eine besondere Eigentümlichkeit der epischen Sprache besteht darin, dass zwei kontraktionsfähige Vokale, von denen der erstere ein α ist, nicht kontrahiert werden, wohl aber eine solche Anziehungskraft auf einander ausüben, dass der eine dem anderen sich anähnlicht oder ganz angleicht, indem entweder der nachfolgende O-Laut den vorhergehenden A-Laut in den O-Laut, oder der vorhergehende A-Laut den nachfolgenden E-Laut in den A-Laut verwandelt. So entstand

a) aus σάος (σάον v. l. Il. π, 252) σόος (kontr. σῶς), doch auch Fem. σόη, N. pl. σόα, so dass dieses Wort mit den folgenden nicht ganz gleichartig; aus φάος φόως (φώως Il. π, 188 Aristophanes u. Aristarch), daher Δημοφόων, so archaisches Epigramm Aigina ΔΑΜΟΦΟΟΝ, Dial.- Inschr. 3409, vgl. böot. Εὐρυφάων, ΔΕΜΟΦΑΟΝ Δημοφάων auch auf einer attischen Vase, Klein, Denkschr. Wien. Akad. 1883, 183; entspr. die Eigennamen auf κόων, als Λαοκόων, Fem. Ἱπποκόωσα; aus θάϝακος (θάβακος Hesych., vgl. θαάσσω sitze) θάοκος θόωκος, aus πραϝόνες (πρηόνες Kallimach., πρηῶνος Hes. Scut. 437) πρώονες Brugmann, Curt. Stud. IV, 155 (sollte πρωόνες betont werden, da zu einer Änderung des Accents kein Grund ersichtlich, vgl. Wackernagel, Bezzenb. Beitr. IV, 309); aus αὐτοχόανος αὐτοχόωνος Il. ψ, 826; aus ὁράω ὁρόω, aus ὁράων ὁρόων, aus μαιμάων μαιμώων. Vgl. ferner Ἀθόως Hom. (Ἄθως), Κόως (Κῶς; nach Hdn. I, 403 fand sich auch Κόος und Κώως), γαλόως, Θόωσα Od. α, 71, dagegen λαγωός (λαγώς) mit umgekehrter Quantität. In ἀστυβοώτης Il. ω, 701 (für ἀστυβώτης von βοάω, vgl. βώσας für βοήσας) steht οω für οη, die Angleichung ist also progressiv. Übrigens wird auch bei regressiver Angleichung der zweite Vokal insofern mitbetroffen, als für geschlossenes ο (ο, verlängert ου) das offene eintritt, also ω, woher auch die Quantität des zweiten Vokals mitunter geändert erscheint; daher wird aus ὁράουσα ὁρόωσα, aus ὁράονται ὁρόωνται, aus ὁράοντος ὁρόωντος, aus βοάουσι βοόωσι, aus ὁράοιμι ὁρόῳμι, aus ἡβάουσα ἡβώωσα. Das Nähere über die Verben auf άω s. § 248.

b) aus ὁράεις ὁράᾳς, ὁράει ὁράᾳ, ὁράεσθαι ὁράα^σθαι u. s. w.; s. § 248; (δεδάασθαι Od. π, 316, erforschen, st. δεδά-εσθαι s. § 343), ἄαται (˘˘¯) Hes. sc. 101 ἄεται v. ἄ-ω, sättige; φα?́ανθεν, φα^άντατος st. φάενθεν, φαέντατος; in νηπια?́ᾶς Od. α, 297 v. νηπιέη st. νηπιέας ist die Angleichung regressiv.

Die Quantität der betroffenen Silben bleibt bei den Verben ungeändert, s. § 248; bei Substantiven (Adjektiven) indes finden sich Ausnahmen: φάος φόως (˘¯ statt ˘˘), αὐτοχόωνος aus -χόανος (˘¯˘ st. ˘˘˘).

Anmerk. Früher wurde diese Erscheinung von den Grammatikern als eine Distraktion (διαίρεσις, διάλυσις, Herodian II. 307 ff.) der Vokale oder als eine Kontraktion mit Vorschlag behandelt. Göttling (Allg. Lehre vom Accent der griech. Spr., S. 97 ff.) und nach ihm Leo Meyer (in Kuhns Zeitschr. X., S. 45 ff. u. Vergl. Gr., Th. I^{2}, 1, S. 534 ff.) erklären sie aber richtiger für eine Assimilation entweder des Charaktervokales mit dem thematischen Vokale oder des thematischen Vokales mit dem Charaktervokale. In einzelnen Punkten aber kann man dem Verfahren des Letzteren schwerlich beistimmen. So will er Formen, wie βοόωντες, ἁφόωντα, ὁρόωνται, πλανόωνται, ὁρόωντο, ὁρόῳεν u. s. w., die an unzähligen Stellen vorkommen, in βοόοντες, ἁφόοντα, ὁρόονται, πλανόονται, ὁρόοντο, ὁρόοιεν u. s. w. umändern; die Form der 3. P. Pl. auf όωσι, als: ἀσχαλόωσι, δαμόωσι erklärt er aus der ursprünglichen Form auf ονσι, die aber dem Homer fremd ist, und das Fem. Partic. auf όωσα, als: γοόωσα, aus ονσα, γοάονσα. S. gegen Meyer Dietrich, Kuhns Zeitschr. XIII, 434 ff. Nachdem dann Mangold in Curtius Stud. VI, 139 ff. die Frage einer erneuten, gründlichen Untersuchung unterworfen, ist von J. Wackernagel, Bezzenb. Beitr. IV, 259 ff. die ganze Erscheinung abgeleugnet und auf Textesentstellung zurückgeführt worden, indem für echtes ὁράεις, βοάοντες erst kontrahiert ὁρᾷς, βοῶντες, und dann, um dem Verse aufzuhelfen, mit Zerdehnung ὁράᾳς, βοόωντες geschrieben sei. P. Cauer hat demgemäss in seinen Homerausgaben alle assimilierten Formen durch die ursprünglichen offenen ersetzt (vgl. Praef. Od. I, XXIV ff., Il. I, XXIX ff.), worin ihm, wie in vielem andern, schon Payne Knight vorangegangen war. Gegen Wackernagel Curtius, Lpz. Stud. III, 195, nach welchem diese Formen denn doch zu massenhaft erscheinen, als dass man ihnen misstrauen dürfte. W.'s Theorie ist schwer oder gar nicht vereinbar mit denjenigen Formen, in denen die Quantität verändert ist (oben u. 2); sein φέως für φόως (S. 311) ist ein völliges Novum, und über αὐτοχόωνος geht er das. ohne Erklärung hinweg.

Verschieden hiervon ist, was sonst als Zerdehnung eines einfachen Vokals oder Diphthongs bei Homer erscheint: st. κληδών κλεηδών, κληηδών (urspr. κλεϝηδών), θέειον sp. θεῖον (Mangold, p. 204), οἴιες Od. ι, 425 (das. 203), ὁμοίιος, γελοίιος (das.), τοῖιν, ποδοῖιν, Σειρήνοιιν (s. § 110, 1; 118, 11); κράατος, κράατι, κράατα st. κρατός u. s. w., § 130, κραιαίνω st. κραίνω, ἐκρήηνα st. ἔκρηνα, § 343. Nicht hierher gehörig sind die Formen des Konjunkt. Aor. II. der Verben auf μι, als: στέω, στήω, στήῃς, θέω, θείω, δαμείω, δώῃσι, δώωσι, s. § 286, 5; unglaubhaft sind die Formen wie δηϊόωντες, ἀρόωσι von Verben auf όω, s. § 250.

hide Display Preferences
Greek Display:
Arabic Display:
View by Default:
Browse Bar: