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Von der Betonung (προσῳδία) der Silben.

Die Betonung eines mehrsilbigen Wortes besteht darin, dass Eine Silbe vor den übrigen durch einen höheren oder stärkeren Ton hervorgehoben und dadurch die Einheit der zu einem Wortganzen verbundenen Silben ausgedrückt wird. Aber auch das einsilbige Wort wird betont, damit es im Zusammenhange der Rede hervortrete, als: Gótt ist der Quéll alles Schönen. Ohne die Betonung würde ein Wort kein Wort, sondern nur eine Anreihung vereinzelter unverständlicher Silben ohne alle Einheit sein, z. B. ἀν, θρω, πος; erst durch die Betonung werden die einzelnen Silben zu einem verständlichen Wortganzen verknüpft. Der Ton, durch welchen eine Silbe vor den übrigen hervorgehoben wird, ist also, wie Corssen (Ausspr. d. L. Spr. II.^{2} S. 800. 829) treffend sagt, der Pulsschlag, der das Leben des Wortes durchdringt. Die Betonung ist aber nicht bloss ein logisches Element, durch welches die Silben zu der Einheit eines Begriffes verbunden werden; sie bewirkt auch ein rhythmisches Tonverhältnis der Silben, indem sie betonte und unbetonte, hoch- oder starktonige und tief- oder schwachtonige Silben abwechseln lässt. Was von der Betonung des einzelnen Wortes gilt, dasselbe gilt auch von der Betonung des Satzes. Sowie durch jene die Einheit des Begriffes eines Wortes, so wird durch diese die Einheit des Gedankens ausgedrückt, und sowie durch jene ein Rhythmus der Silben eines Wortes, so wird durch diese ein Rhythmus der Wörter eines Satzes bewirkt.

Die Betonung der griechischen Sprache tritt in zweifacher Hinsicht in einen Gegensatz zu der Betonung der deutschen Sprache. Denn jene beruht auf Höhe und Tiefe,1) diese auf Stärke und Schwäche des Tones. Die griechische Betonung muss als eine musikalische aufgefasst werden, wie dies auch von den alten Grammatikern geschehen ist, und wie es die Ausdrücke bezeugen, deren sich dieselben bedienen, wenn sie von der Betonung reden (Apud Graecos [accentus] ideo προσῳδία dicitur, quod προσᾴδεται ταῖς συλλαβαῖς Diomedes p. 431 K.; dann die Ausdrücke προσῳδία ὀξεῖα, βαρεῖα, τόνος und τάσις (φωνῆς) = Tonhöhe, Ton, ἐπιτείνειν, ἀνιέναι = den Ton erhöhen, herunterstimmen, Dionys. Halic. de comp. p. 58 sqq. R.; Philodem. in Fleckeis. Jahrb. Suppl. XVII, 246 ff.; Arkad. p. 186; Bekker, Anekd. II. 662 sq. 676. 678, u. A.; ferner bei Plato und zu Platos Zeit ἁρμονία = Betonung, s. § 77, Anm. 4). Wäre der griechische Accent mit gleicher Stärke wie der deutsche gesprochen worden, so liesse es sich nicht begreifen, wie in dem griechischen Verse Accent und Quantität der Silben sich neben einander vertragen konnten. Werden aber die Verse musikalisch vorgetragen, so dass die betonte Silbe mit einem höheren, die unbetonte mit einem tieferen Tone in musikalischer Bedeutung gesprochen wird; so kann sowohl der Betonung als dem Zeitmasse der Silben Rechnung getragen werden. Wie schon Matthiä (§ 17) und andere2) vorgeschlagen haben, lässt sich die Verbindung des Accentes mit der Quantität am Besten durch Noten darstellen, wenn man eine kurze Silbe durch 1/8<*>, eine lange durch 1/4<*>, den Accent aber durch die Erhöhung der Note bezeichnet. Und zwar scheint Dionysius von Halikarnass (a. a. O.) zu lehren, dass das Intervall zwischen Hoch- und Tiefton regelmässig ungefähr eine Quinte betrage: wiewohl nicht zu glauben ist, dass nicht mehr Modulation gewesen wäre, und dass nicht Mitteltöne existiert hätten, wofür auch Zeugnisse vorhanden sind. Namentlich muss der im Zusammenhange der Rede gedämpfte Hochton einer auslautenden Silbe von dem eigentlichen Tiefton unterschieden worden sein. Es lassen sich nun so auch die Verse lesen, wobei natürlich die Hebungen durch den metrischen Iktus noch ihre besondere Tonstärke empfangen.

Zweitens bildet die griechische Betonung insofern einen Gegensatz zu der deutschen, als sie sich mehr als eine rhythmische ausgebildet hat, während die deutsche eine logische ist. Die rhythmische Betonung beobachtet genau das Zeitmass der Silben und hebt sehr häufig ohne Rücksicht auf die Bedeutsamkeit eine Ableitungsoder Flexionssilbe vor der Stammsilbe hervor, als: πατήρ, πατρός, γραφόμενος, γραφομένη, βουλευθήσομαι. Die logische Betonung, welche die Bedeutsamkeit der Silben auffasst, hebt durch den Ton die Stammsilben, welche den Begriff der Wörter ausdrücken, vor den Ableitungs- und Flexionssilben, welche nur Beziehungen des Begriffes ausdrücken, oder die Vorsilben, welche den Begriff der Wörter näher bestimmen, hervor, als: geschríeben, unvergésslich, vollénden; ábschreiben, ábgeschrieben; λέγω, λόγος, ἄλογος, ἔλεγον, γράφω, γράμμα, ἔγραφον, γέγραφα, εἶμι, πρόσειμι.

Am deutlichsten tritt das rhythmische Wesen der griechischen Betonung dadurch hervor, dass sie an die drei letzten Silben gebunden und durch die Tondauer der letzten Silbe bedingt ist, während im Deutschen die Stammsilbe, welche den Begriff des Wortes, oder die Vorsilbe, welche diesen Begriff näher bestimmt, betont wird ohne Rücksicht auf die Zahl und Tondauer der Silben, wie z. B. in Lächerlichkeiten, Wissenschaftlichkeit, Mannigfaltigkeiten, Verführungskünste. Mit der griechischen Betonung stimmt am meisten die lateinische überein, indem sie, wie die griechische, den Ton nicht über die drittletzte Silbe hinausrückt; sie weicht aber darin von der griechischen ab, dass sie bei vielsilbigen Wörtern überall die drittletzte Silbe betont, wenn nicht eine lange Paenultima durch ihr Gewicht den Ton auf sich herabzieht, während die griechische sich innerhalb der drei letzten Silben, wenn nicht die letzte lang ist, frei bewegt.3) Der Betonung des asiatischen Aeolismus aber liegt ein ähnliches Prinzip zu Grunde (§ 80), wie es die der lateinischen Sprache befolgt.

Ausser der logischen und rhythmischen Betonung giebt es noch eine dritte, die grammatische, durch welche gewisse bedeutungsvolle Flexions- und Ableitungssilben hervorgehoben, oder sonst gleichlautende Formen unterschieden werden, z. B. παιδ-ός, παιδ-ί v. παῖς, βουλεῦσαι, βουλεύσαι, βούλευσαι, πατροκτόνος, πατρόκτονος, βουλή, βουλευτέος, βουλευτός, βουλευτικός, βουλευτής, βουλευτίς, λογάς, λογεῖον, λογεύς, λελεγμένος, γραφεύς, γραφή, γραφικός, πειθώ, Überredung, πείθω, überrede, ποτός, trinkbar, πότος, , Trinkgelage, πότε und ποτέ, πόσος und ποσός.

Aus den gegebenen Beispielen erhellt also, dass in der griechischen Sprache drei verschiedene Betonungsprinzipe nebeneinander bestehen, das logische, grammatische und rhythmische. Aber das rhythmische hat die Oberherrschaft errungen, dergestalt, dass sich das logische nicht so frei, wie im Sanskrit und im Deutschen, und das grammatische, wie im Sanskrit, bewegen kann, sondern beide sich der Herrschaft des rhythmischen Betonungsgesetzes fügen müssen, indem auch sie an die Schranken des rhythmischen Dreisilbengesetzes gebunden sind.4) So z. B. ist das logische Prinzip beim Verb vorherrschend, indem das Streben, die Stammsilbe, sowie die Augments- und Reduplikationssilbe zu betonen, deutlich hervortritt, als: φέρω, sk. bhárâmi, φέρεται, sk. bháratê, ἔφερον, sk. ábharam; aber das logische Prinzip muss im Griechischen in folgenden Formen dem rhythmischen weichen, während es sich im Sanskrit fest behauptet: φεροίτην, dagegen sk. bhárêtâm, φερέτων, dag. sk. bhárêtâm, ἐφερέτην, dag. sk. ábharatâm, ἐφερέσθην, dag. sk. ábharêtâm. Ebenso verhält es sich mit dem grammatischen Prinzipe. Die Abstrakta auf ι^ᾶ sind Paroxytona, als: φιλία, σοφία, aber im Gen. Pl. werden sie Perispomena, also nicht φιλίων, sondern φιλιῶν (entst. aus άων).

Anmerk. 1. Mit dem Verfalle der griechischen Sprache gewann der Accent allmählich durch zunehmende Tonstärke ein Übergewicht über die alte Quantität und verdrängte dieselbe zuletzt gänzlich, wie dies in der neugriechischen Sprache der Fall ist, in welcher Wörter, wie Μίλητος, ἄνθρωπος, τύπτωμαι das Mass des Daktylus, στόμα das eines Trochäus haben (§ 3, S. 49). Die Metriker lehren (Schol. Hephaest. p. 93 Westph.), dass der Hochton eine gewisse Verlängerung mit sich bringe: λος in καλός sei länger als λος in φίλος. Die erste Berücksichtigung der Betonung im Versbau finden wir in Babrios' Fabeln, in denen die vorletzte Silbe des hinkenden Trimeters immer eine accentuierte ist; ähnliche Regeln der Verstechnik sind auch für den Pentameter und den Hexameter der Kaiserzeit und der früheren byzantinischen Zeit aufgewiesen worden.5) In der späteren byzantinischen Zeit kommt dann eine neue Verskunst auf, bei der mit Beseitigung der Quantität nur der Accentrhythmus beobachtet wird. Man nennt solche Verse politische (πολιτικοί = δημώδεις), d. h. beim Volke gebräuchliche.

Anmerk. 2. Neben der auf musikalischer Höhe und Tiefe beruhenden Betonung scheint es im Lateinischen noch eine andere gegeben zu haben, nach welcher die erste Silbe eines Wortes eine grössere Tonstärke hatte. Auch im Griechischen hat man Gesetze der Tonstärke aufzuweisen gesucht, die von denen der musikalischen Betonung unabhängig seien;6) doch sind die diesbezüglichen Beobachtungen (an der Verstechnik) in ihrer Deutung allzu unsicher.(Smyth 149)

1 Was Göttling, Accentlehre §§ 2, 3, 4 mit Unrecht leugnet.

2 Platz in Seebodes Allg. Schulz. Nr. 21.

3 S. Bopp, Vergl. Accentuationssyst., S. V. f.

4 S. Bopp, a. a. O., S. V.

5 Vgl. A. Ludwich, Fleckeisens Jahrb. 1874, 441 ff. (Nonnos); F. Hanssen, Rhein. Mus. XXXVIII, 226.

6 Isid. Hilberg, das Prinzip der Silbenwägung, Wien 1879; F. Hanssen, Rhein. Mus. XXXVII, 252.

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